Wochenende der Gebärdensprache 2019

Am Wochenende vom 28./29. September 2019 fand das „Wochenende der Gebärdensprache“ in Heilbronn statt.

Zu diesem Anlass hatte der Landesverband der Gehörlosen ein umfangreiches und vielfältiges Programm zusammengestellt. Am Samstag waren die Veranstaltungsorte in der Heilbronner Innenstadt, am Sonntag bespielten wir den ganzen Tag die Hauptbühne der Bundesgartenschau.

Das Wochenende begann am 28. September mit einem Informationsstand auf dem Kiliansplatz. Wir informierten die Passanten und luden Sie ein, sich in DGS auszuprobieren. Die Kinder konnten Buttons gestalten. Zudem luden wir alle zu den DGS-Schnupperkursen und den weiteren Veranstaltungen ein. Leider war das Wetter von Anfang an sehr windig, so dass wir kaum unser Infomaterial beisammen halten konnten. Dann fing es auch noch heftig an zu regnen, und wir mussten den Stand abbauen.

Parallel zum Infostand bot der Dozent Peter Ries zwei DGS-Schnupperstunden in der Volkshochschule an. Beide waren mit je 13 Teilnehmenden gut besucht. Wir hoffen natürlich, die Teilnehmenden „bleiben dran“ an der Gebärdensprache.

Am Nachmittag zeigten wir im Arthauskino am Marrahaus den Film „The Seed of Life“ in Anwesenheit der Regisseurin Natasha Ruf. Die Vorführung in Heilbronn war die Deutschlandpremiere des Films. Die Dokumentation handelt von Sandra Friedrich. Die gehörlose 44-Jährige leidet an Multiple Sklerose und wanderte nach Sri Lanka aus. Nathasha Ruf begleitete Sandra Friedrich im Oktober 2019 für zweieinhalb Wochen in Sri Lanka. Erst vor Ort entstand die Idee, einen Film zu drehen.
Im Anschluss an den Film beantwortete Natasha Ruf noch einige Fragen zum Film. Sie erzählte auch, dass sie plant, ein weiteres Mal nach Sri Lanka zu fliegen, um weiter über Sandra Friedrich zu berichten, falls sie das Geld dafür auftun kann.
Weitere Informationen über Sandra Friedrich gibt es hier: http://yourseed.net

Abends stand ein Vortrag der gehörlosen Professorin Patty Hermann-Shores auf dem Programm. Doch zunächst begrüßte Wolfgang Reiner die zahlreichen Gäste im Heilbronner Gewerkschaftshauses und stellte Patty Hermann-Shores vor. Sie wurde in Südafrika geboren, wuchs in Kanada auf und studierte in Kanada, den USA (Gallaudet University) und England. Schließlich zog sie für die Liebe in die Schweiz und lebt dort seit mittlerweile über 30 Jahren. Sie lehrt an der Interkantonalen Hochschule für Heilpädagogik in Zürich.
Anschließend gebärdete die Inklusionsbeauftragte Irina Richter ein Grußwort und grüßte auch von Oberbürgermeister Harry Mergel, der die Schirmherrschaft für das „Wochenende der Gebärdensprache“ übernommen hatte. Irina Richter zeigte auf, welche Schritte die Stadt Heilbronn schon in Richtung Barrierefreiheit und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen unternommen hat.
Der Vortrag von Patty Hermann-Shores trug den Titel „Von der Unsichtbarkeit zur Sichtbarkeit! Die Gehörlosengemeinschaft wird sichtbar“. Sie plädiert dafür, Menschen nicht auf ihren Hörstatus zu beschränken und beispielsweise statt des Begriffs „Mensch mit Hörbehinderung“ die Bezeichnung „Mensch mit Gebärdensprache“ zu verwenden. Denn letztlich geht es nicht um die Frage von Hören – Nicht-Hören sondern um die Nutzung der Gebärdensprache. Dieser neue Blickwinkel führt dazu, gehörlose Menschen nicht als hilfsbedürftig anzusehen, sondern wirkliche gesellschaftliche Teilhabe zu fordern. Die Beschränkung auf den Hörstatus bedeutet ein Stigma. Die Betonung der Gebärdensprache dagegen macht offen für die sprachliche und kulturelle Vielfalt. So gelingt der Weg von der Integration zur Inklusion. Diese Betrachtungsweise führt auch zu einer neuen Identität und zu einem neuen Selbstbewusstsein der Gehörlosen.
Im Anschluss an den Vortrag gab es noch die Möglichkeit Fragen zu stellen und sich bei einem Glas Sekt auszutauschen.

Der Sonntagvormittag begann mit einem ökumenischen Gottesdienst für gehörlose und hörende Menschen. Dies war der letzte Gottesdienst des langjährigen Leiters des Gehörlosenpfarramts Pfarrer Roland Martin. Er leitete den Gottesdienst zusammen mit den Diakonen Karl-Josef Arnold (katholisch) und Gerhard Reider (evangelisch). Der Gottesdienst bot den hörenden Besucher/innen unter anderem die Möglichkeit, einige Lieder mit Gebärden zu erlernen – ein schönes Bild, wie hunderte Gottesdienstbesucher/innen zusammen sangen und gebärdeten.

In der folgende Talkrunde unter der Fragestellung „Wo stehen wir im Jahr 2019 in Sachen Barrierefreiheit, Inklusion und Teilhabe?“ diskutierten diese Politiker/innen: Alexander Throm, MdB (CDU), Rainer Hinderer, MdL (SPD), Susanne Bay, MdL (Grüne) und Nico Weinmann, MdL (FDP). Wir werden in der nächsten Ausgabe von visuellaktuell ausführlich über diese Talkrunde berichten.

Die Sign Singers unterhielten das Publikum anschließend prächtig mit ihrer „Musik in Gebärdensprache“. Unter der Leitung der Gebärdensprachdolmetscherin Rita Mohlau übersetzte der Gebärdensprachchor der Volkshochschule Tübingen simultan Lieder in die deutsche Gebärdensprache. Dies war ein Erlebnis für Menschen mit und ohne Gehör. Wie Rita Mohlau vor dem Konzert angekündigt hatte, ging dieses Aufführung „durch die Augen direkt ins Herz“.
Weitere Informationen über die Sign Singers gibt es hier: www.vhs-tuebingen.de/vhs-sign-singers

Es folgte das Theater HandStand mit seinem Stück „Der blaue Vogel“, einem Märchen nach Hans Christian Andersen. Die Theatergruppe besteht aus Gehörlosen, Schwerhörigen und Hörenden. Im Stück wurden Lautsprache und Gebärdensprache miteinander verwoben und bescherten so allen Zuschauer/innen eine barrierefreie Theater-Erfahrung. 
Die Regisseurin Johanna Thoma berichtete, dass es die Theatergruppe nun bereits seit 20 Jahren gibt. An sieben bis acht Wochenenden im Jahr wird geprobt. Ein bis zwei Jahre dauert es bis ein neues Stück fertig ist.
Weitere Informationen über Theater HandStand finden Sie hier: www.theater-handstand.de
Der Pantomime Marcus Willam unterhielt das Publikum anschließend mit seinen lustigen Darbietungen.
Den Abschluss bildete eine Aufführung des Gebärdenchors der Lindenparkschule Heilbronn. Neun Mädchen und Jungen der Klassenstufen 3 bis 6 gebärdeten zusammen mit zwei Lehrerinnen zwei Lieder.

Das gesamte Bühnenprogramm wurde von Markus Fertig, Beauftragter für Bildung und ehemaliger stellvertretenden Vorsitzender, mit viel Sachverstand moderiert.

Während der ganzen Veranstaltung betreuten Ehrenamtliche des Landesverbands einen Infostand. Auch hier hatten die Besucher/innen die Möglichkeit, Gebärden auszuprobieren, und die Kinder konnten Buttons anfertigen.

Der Vorstand des Landesverbands der Gehörlosen bedankt sich sehr herzlich bei allen Mitwirkenden und bei den ehrenamtlichen Helfer/innen!

Alle Veranstaltungen wurden durch Gebärdensprachdolmetscher/innen verdolmetscht. Danke an Ralf Wiebel, Sabine Gebhard, Evelyn Sternberger, Sonja Lewandowsky und Judith Gaisberg.

Für alle Veranstaltungen haben wir viele positive Rückmeldungen erhalten. Wir freuen uns darüber sehr. Wir bewerten es als sehr positiv, dass wir sowohl Menschen mit Hörbehinderung erreicht haben als auch Hörende. Auf der Bundesgartenschau kam viel „Laufpublikum“ vorbei, das vorher noch keine Berührungspunkte mit Gehörlosen oder mit unseren Themen hatte. Hier konnten wir sicherlich Interesse wecken.

Die Heilbronner Stimme berichtete über unseren Informationsstand und zudem über einige unserer Themen.

Wir danken unseren Förderern für ihre großzügige finanzielle Unterstützung:
Aktion Mensch – Stadt Heilbronn – Stiftung Pro Kommunikation – Sozialstiftung der Kreissparkasse Heilbronn – Lotto Baden-Württemberg

Zum Vormerken: Nächstes Jahr findet das „Wochenende der Gebärdensprache“ am 26./27. September 2020 in Freiburg statt.

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